Strategie September 2022
Schwere Wochen liegen vor den Anlegern. Die Energiepreis-Krise gewinnt an Schärfe und - so viel Seitenhieb auf die Politik sei erlaubt - die Antworten des Wirtschaftsministers von Europas wichtigster Wirtschaftsnation reichen nicht aus. Wenn Unternehmen nicht mehr produzieren und verkaufen, droht eine schwere Wirtschaftskrise. Alle gemeinsam blicken wir in eine ungewisse Zukunft.
Strategische Einschätzung
In die Strategie fließen mittelfristige Indikatoren ein, deren Veränderungen einen Prognosezeitraum von 6-9 Monaten abdecken. Wir betrachten hierbei die Ebenen Makro (Konjunktur), Risikoradar, Saisonalität sowie Marktbreite / technische Faktoren.
Makro: Zu Beginn des Monats September setzt sich die Talfahrt in den sentix Konjunkturindizes fort. Lage und Erwartungen fallen erneut deutlich, besonders in Euroland. Die steigenden Energiepreise sowie die hohen Unsicherheiten über die Versorgungssicherheit mit Strom und Gas im Winter verunsichern die Verbraucher und führen auch bei Unternehmen zu negativen Reaktionen. Die Meldungen über Produktionskürzungen und Geschäftsschließungen häufen sich. Entgegen der weltfremden Ansicht von Minister Habeck dürften vieler dieser Geschäfte nicht ohne Weiteres zurückkommen.
Setzt man die Entwicklung der sentix Konjunkturindizes in ein historisches Verhältnis, dann ist die aktuelle Dynamik nur mit den schwersten ökonomischen Verwerfungen der letzten 20 Jahre noch vergleichbar. Es dürfte deshalb außer Frage stehen, dass wir uns am Vorabend einer schweren Rezession befinden bzw. diese bereits begonnen haben dürfte.
Doch während die Konjunktur in ähnlich schlechter Verfassung ist wie zu Zeiten des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 fehlt es derzeit an einer rettenden Hand durch die Zentralbanken. Deren Handlungsspielraum scheint derzeit nicht nur begrenzt. Im Gegenteil: die Notenbank straffen derzeit die Geldpolitik, da die Inflationsraten auf eine Höhe geschossen sind, die schon lange nicht mehr mit den postulierten Stabilitätszielen vereinbar sind. In der Eurozone dürfte die Inflation noch in diesem Herbst über 10% hinaus ansteigen, was neben den Energiepreisen auch an der schwachen Währung liegt. Der Euro ist im letzten Monat unter die Parität zum US-Dollar gefallen.
Für die USA bedeutet dies eine gewisse Entlastung bei der Inflation, da der Druck über die Importpreise nachlässt. Dennoch hat die FED klargemacht, dass sie ihren Kurs der Zinsanhebungen noch fortsetzen wird. Relativ betrachtet ist der Zinsanhebungszyklus aber in den USA nicht nur weiter vorangeschritten, sondern dürfte hier auch früher beendet werden, was für die Bondmarkt-Strategie wesentlich ist.
Für die Aktienmärkte ist das aktuelle Wirtschaftsumfeld jedoch eine große Belastung, die unserer Einschätzung nach im aktuellen Kursniveau nur unzureichend abgebildet ist. Dies liegt auch daran, dass die börsennotierten Unternehmen noch vergleichsweise wenig in Form von Umsatz- und Ertragseinbußen von der heraufziehenden Krise betroffen sind. Im Gegenteil: Vorzieheffekte, Lageraufbau und ein Konsument, der seinen 2022-Nach-Corona-Urlaub noch genießen will, sorgen dafür, dass sich die ökonomische Top-Bildung ungewöhnlich in die Länge zieht.
Dafür besteht die Gefahr, dass die kommende Rezession sich als hartnäckiger erweisen könnte, als es dem Erfahrungsmuster der Anleger aus den letzten 2-3 Jahrzehnten entspricht. Die fehlende monetäre Unterstützung und die wahrscheinlich über mehrere Jahre inflatonsbedingt steigenden Zinsen spielen dabei eine Rolle. Überhaupt scheinen die Anleger die Gefahr eine heraufziehenden Liquiditätskrise zu unterschätzen. Der geldpolitische Corona-Impuls mit Wachstumsraten der Geldmengen in Euroland von >16% (M1) und in den USA von > 25% (M2) verpufft zusehends. Aktuell wächst die Geldmenge M2 in den USA nur noch mit knapp über 5%. Dies reicht bei Inflationsraten von 8,5% nicht mehr aus, um die Wirtschaft ausreichend mit Liquidität zu versorgen. In Euroland stellt sich die Lage grundsätzlich vergleichbar dar.
Jeder Verbraucher spürt es spätestens ab jetzt: die Preissteigerungen fressen das verfügbare Einkommen auf. Je nach Lebenssituation führt dies dazu, dass Menschen auf die Hilfe neuer sozialer Sicherungen angewiesen sind, wie zum Beispiel Wohngeld oder Heizkostenzuschüsse. Menschen mit mittleren Einkommen verlieren die Fähigkeit zum Sparen und müssen erste Konsumeinschränkungen hinnehmen. In Deutschland dürften nur vergleichsweise wenige Haushalte in der Lage sein, die aktuellen Kostensteigerungen ohne Anpassungen in ihrem Konsumverhalten oder ohne Rückgriff auf finanzielle Polster zu bewältigen.
Dies wird aber die Finanzmärkte ebenfalls betreffen. Einerseits dadurch, dass die Konsumneigung fällt und vor allem Konsum in hochpreisigen Konsumgütern beeinträchtigt wird. Das positive Gewinnumfeld der letzten 2 Jahre wird sich nicht halten lassen. Zum anderen fehlt den Risikomärkten freie Überschussliquidität bzw. kommt es zu einem Abzug von Sparkapital aus dem Finanzsystem. Ohne ausgleichende, liquiditätserhöhende Maßnahmen der Zentralbanken muss mit einer gefährlichen Verknappung von Risikokapital gerechnet werden.
Aus Makrosicht bewerten wir die Risiken bei Aktien als hoch. Bonds profitieren grundsätzlich in einem solchen Umfeld. Es bedarf jedoch deutlicher Entspannungssignale seitens der Inflation für nachhaltige Kursgewinne. Die Aussichten in den USA erscheinen uns dabei größer als in Deutschland, nicht zuletzt wegen des deutlich höheren nominalen Zinsniveaus. Während die Rohstoffmärkte zunehmend den konjunkturellen Gegenwind spüren, sollte Gold von seiner Eignung als alternative Anlageform profitieren.
Einen vollständigen Report zum sentix Konjunkturindex können Sie hier abrufen
Das sentix Risikoradar (s. Grafik 1) zeigt eine deutliche Veränderung. Zunehmend werden Chancenpotentiale bei Aktien angezeigt, die sich vor allem aus der schlechten Stimmung ergeben. Dies war auch 2001 und 2008 so. Während in "normalen" Zeiten eine negative Stimmung wie aktuell eine gute Voraussetzung für Kurssteigerungen darstellt, sind wir aktuell vorsichtiger. In Zeiten großer Makroprobleme, wie eben 2001 und 2008, konnte ein so negative Stimmung in zeitlicher Nähe zu negativen Events gemessen werden. 2001 kam es zum Anschlag auf das World Trade Center in New York, 2008 zur Pleite der Lehman Bank. Nun lassen sich solche historischen Ereignisse natürlich nicht vorhersagen und es mag auch nicht zu solchen Ereignissen kommen. Die aktuelle Lage ist jedoch so angespannt, mit dem Krieg in der Ukraine, den Lieferkettenproblemen, der Unsicherheit an den Energiemärkten und den absehbaren Liquiditätsproblemen, dass es keiner allzu großen Phantasie bedarf, um auch 2022 mit einer gewissen Vorsicht den vor uns liegenden Wochen zu begegnen.
Zumindest sollte man auch die Chancen bei Bonds mit in seiner Strategie berücksichtigen. Eine "Schubumkehr" bei Bonds würde sich dann aller Voraussicht nach auch an den Währungsmärkten - vor allem als Yen-Stärke - zeigen.
Unter saisonalen Aspekten sind die kommenden Wochen besonders herausfordern. Zum einen gilt der September gemeinsam mit dem August als volatiler und oftmals rückschlaggefährdeter Monat. Hinzu kommt, dass 2022 ein sogenanntes Zwischenwahljahr ist. In diesen Jahren des "US-Präsidentschaftszyklus" stehen die Kurse im September ebenfalls oftmals unter größerem Abgabedruck. Und last but not least stellen wir mit einem Wert von mehr als 0,7 eine hohe Korrelation des aktuellen 2022er Kursverlaufs mit den Jahren 2001 und 2008 fest. Bliebe diese Korrelation erhalten, wäre mit fallenden Aktienpreisen bis weit in den Oktober hineinzurechnen.
Bonds und Edelmetalle sind in den nächsten Wochen dagegen tendenziell saisonal noch unterstützt.
Taktische Signale
Über das Sentiment und den Strategischen Bias erhalten wir kurzfristige Signale für die Märkte. Diese decken einen Prognosezeitraum von 6-12 Wochen ab und werden modell-orientiert bewertet.
Die Ausgangslage unserer modell-orientierten und systematischen Sentimenbetrachtung hat sich für Aktien tendenziell verbessert. Auffallend ist die sehr schlechte Stimmung. Angst ist bei den Anlegern messbar. Interessanterweise zeigen unsere statistischen Untersuchungen, dass der konträre Effekt aus einer schlechten Stimmung am größten ist, wenn das Sentiment bei ca. -45% liegt und sich im mittelfristigen Bild bereits eine Stabilsierung / Besserung abzeichnet. Ein TD-Wert, also die Differenz von Sentiment und Strategischem Bias von -0,4 oder tiefer unterstreicht eine solche positive Indikation.
Kippt die Stimmung dagegen noch deutlich tiefer ab, so wie aktuell mit -55% bis -60%, ist eine solche Angst oftmals kurzfristig noch negativ. Eine Kapitulation steht dann im Raum, vor allem wenn sich mittelfristig im Strategischen Bias noch keine neue Wertwahrnehmung einstellt. Genau diese Lage haben wir aber derzeit. Deshalb schalten unsere Modelle noch nicht auf Kauf, ist die aktuelle Lage eben keine aussichtsreiche konträre Panik-Lage.
Neben den Aktien verzeichnen wir derzeit auch in anderen Anlageklassen keine attraktiven Modell-Signale.
Zusammenfassung
Die Vorzeichen stehen weiter auf einen heißen Herbst. Für die Aktienmärkte werden nach wie vor erhebliche Risiken angezeigt, die sich entsprechend den Vorbildern von 2001 und 2008 durchaus schon in den nächsten Wochen in Form fallender Aktienpreise zeigen könnten. Entsprechend konsequent und defensiv agieren wir hier in unseren Mandaten. Bonds versprechen hier zwar prinzipiell ein entlastendes Moment, allerdings haben wir aktuell das Problem, dass die Anleihemärkte thematisch weiter durch die Inflation - und die restriktive Haltung der Notenbanken darauf - belastet bleiben. Die Waage neigt sich aber zunehmend zu Gunsten der Bonds, da gewisse entlastende Momente aus der Inflation sichtbar werden dürften (Stichwort Metallpreise) und die nahende Rezession wohl auch am Ölmarkt Spuren hinterlassen könnte.
Wir setzen unverändert auf die Edelmetallmärkte, um unsere Portfolien zu diversifizieren.
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Wie sich unsere Fonds in diesem Umfeld positionieren und wie die Entwicklung im abgelaufenen Monat war, erfahren Sie je nach Fonds hier: