Strategie Juni 2021
In den nächsten Wochen erwarten wir, dass zwei Themen mehr und mehr in das Blickfeld der Anleger rücken. Zum einen die steigenden Inflationsraten und der Umgang der Notenbanken damit. Und zum anderen die Bewertung des Aktienmarktes. Diese ist angesichts niedriger Renditen scheinbar noch günstig, doch in realen Einheiten sieht dies zunehmend anders aus.
Inflationsgefahren
Die Preise steigen. In Euroland nimmt die Teuerung an Fahrt auf. Seit Beginn des Jahres ist die jährliche Teuerungsrate von 0,5% auf 2% gestiegen. Und damit dürfte noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. Denn die Preise werden zum einen von steigenden Rohstoffpreisen und einer zunehmenden Auslastung der Industriekapazitäten getrieben. Beide Trends sind noch intakt. Für die Unternehmen verteuern sich damit die Input-Kosten, was Preiserhöhungen für die Endkunden nach sich ziehen wird. Diese Zweitrundeneffekte dürften jetzt mit einsetzenden Öffnungsschritten nach dem Lockdown erst richtig einsetzen.
Zum anderen ist in einzelnen Sektoren keineswegs mit einem schnellen Anstieg der Auslastung zu rechnen, z.B. im Handel oder der Gastronomie. Hier bestehen noch signifikante Beschränkungen, so dass die Preisanpassungen hier stärker ausfallen dürften, da neben den Input-Kosten auch die geringere Auslastung zu kompensieren ist. Fraglich ist bislang, ob zu diesen Entwicklungen auch noch eine klassische Lohn-Preis-Spirale hinzukommt. Die meisten preistreibenden Faktoren sind exogen und es ist unklar, ob die Arbeitnehmer in der Lage sein werden, ihre erhöhten Lebenshaltungskosten durch höhere Lohnforderungen auszugleichen.
Die Unternehmen haben sich in den letzten 30 Jahren meist erfolgreich gegen hohe Lohnforderungen wehren können. Dazu reichte meist ein Verweis auf die Globalisierung und die Bewahrung der Wettbewerbsfähigkeit. Durch die Coronakrise hat dieses Argument an Schlagkraft eingebüßt. Vielfach haben Staaten und Unternehmen erkannt, dass eine unbegrenzte Verlagerung von Kapazitäten in andere Länder auch erhebliche Risiken bewirken kann. Die Globalisierung wird damit keineswegs zurückgedreht, aber die Effizienz wird deutlich geringer.
Lernen jetzt Unternehmer und Verbraucher, das regelmäßige Preisanpassungen wieder "normal" werden und übt sich hier ein neues Verhalten ein, ist sogar die Entstehung einer Lohn-Preis-Spirale denkbar. Diese dürfte aber wohl weniger das Ergebnis gewerkschaftlicher Lohnforderungen sein, sondern das Ergebnis staatlichen Handelns. Ob Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Rückvergütungen an Bürger aus der CO2-Steuer: mehr und mehr dürfte der Staat seine Umverteilungsmaschinerie auf immer breitere Bevölkerungskreise ausdehnen. Die geld- und fiskalpolitischen Räder, die man im letzten Jahr massiv in Schwung versetzt hat, werden kaum mehr zu bremsen sein. Vielmehr besteht die Gefahr, dass diese sich im Laufe der Zeit - wie schon die letzten 10 Jahre - immer schneller drehen werden.
Aktienmarkt-Bewertung
Wer jetzt denkt, dass das Thema Inflation vor allem für Anleiheninvestoren von Interesse ist, sieht sich getäuscht. Natürlich sind die Besitzer von Bonds unmittelbar und besonders stark von einer steigenden Inflation betroffen. Da schon jetzt erkennbar ist, dass die Zentralbanken weder gewillt noch in der Lage sein werden, real einen Inflationsausgleich über steigende Notenbankzinsen zu gewährleisten, werden die Besitzer von nominalen Geldforderungen in den nächsten Jahren erhebliche reale Kaufkraftverluste zu erleiden haben. Während die Staatsanleihen in Euroland weitgehend bei der Notenbank geparkt sind, dieser Prozess damit "neutral" abläuft, sind vor allem Rentenansprüche und langfristige Kapitalforderungen (z.B. Lebensversicherungen) negativ betroffen.
Aber auch für Aktionäre ist ein Wechsel aus einer disinflationären Phase hin zu einer inflationären Phase meist mit zusätzlichen Risiken verbunden. Diese resultieren zum einen aus der unterschiedlichen Fähigkeit von Unternehmen und Sektoren, ihre eigenen Endverkaufspreise rechtzeitig und ausreichend anpassen zu können. Hier wird es vor allem für die Technologiekonzerne interessant, deren Geschäftsmodelle sich noch nie in einem Inflationsumfeld bewähren mussten.
Zudem bedeuten steigende Inflationsraten immer auch ein Risiko von Zinssteigerungen. Wir gehen zwar davon aus, dass die Notenbanken nur sehr zögerlich und verspätet auf die Inflationsgefahren reagieren. Dennoch dürfte der langfristige Zinstrend nach oben weisen.
Um die Bewertung von Aktien zu ermitteln und die Wirkung von Zins- und Inflatonsanstiegen sichtbar und damit greifbar zu machen, haben wir ein sehr simples Bewertungsmodell entwickelt. Dieses setzt einfach die Dividendenrendite und den langfristigen Zins für Staatsanleihen zueinander in Beziehung. Eine so simple Bewertung erlaubt nicht unbedingt eine absolute Aussage, kann aber Hinweise geben, wann in der relativen Dynamik kritische "Bewertungsniveaus" erreicht werden. Neben einer nominalen Betrachtung führen wir auch eine reale Bewertung durch, indem wir die Inflationsrate mit einberechnen.
Die nachfolgende Grafik zeigt unsere Bewertungslogik für den US-Aktienmarkt. Im Chart sichtbar ist der S&P 500 Index (blau), Überschussrendite der Dividende (Dividendenrendite minus 10J. US-Zins; orange) sowie die reale Überschussrendite der Dividenden (Dividendenrendite minus Summe aus 10J. Zins und Inflationsrate; grün):
Ganz grob schwankte "unser" Bewertungsindikator im Zeitraum 2008 bis 2021 zwischen minus 2% und plus 1%. War der Index bei -2% war der US-Markt sehr teuer, Anleger erhielten nominal 2% mehr Zinsen als Dividenden. Schön zu sehen ist, wie billig der Markt im Corona-Crash geworden war, als die Kurse niedrig und die Zinsen noch niedriger waren. Aktuell befinden wir uns in den USA gemäß diesem Indikator auf "neutralem" Niveau. Der Markt scheint damit weder zu teuer noch zu billig.
Allerdings gibt es zwei Probleme: zum einen dürften die US-Zinsen tendenziell weiter steigen. Zur Erinnerung: als wir zuletzt so hohe Inflationsraten hatten wie aktuell, lagen die 10J Zinsen bei 5% und nicht bei 1,5%. Warum sollten die US-Zinsen nicht in Richtung 3% steigen, wenn die Inflationsraten anhaltend so hoch bleiben wie aktuell? Und dann wäre unser "nominaler Indikator" eben bei rund -2% und damit im Risikobereich. Das kann relativ schnell gehen.
Wesentlich kritischer sieht unsere Analyse zum anderen unter Einbeziehung der Inflationsraten aus. Hier wird deutlich, dass der Aktienmarkt aktuell sehr teuer geworden ist. Er notiert auf einem Bewertungsniveau, welches sich zuletzt 2018 als Ausgangspunkt einer Korrektur präsentierte. Auch zeigt das Chart, dass ein starker Abfall in dem Index in der Regel zu Problemen für die Aktienkurse geführt hat. Zur Erinnerung: steigende Inflationsraten, die eine fallende grüne Linie im Chart bewirken, führen in der Regel zu Einschränkungen der Liquidität und tendenziell höheren Zinsen. Zudem erhöht sich durch die Inflation die Volatilität in den Gewinnrechnungen der Unternehmen.
In Europa, gemessen am Stoxx 600, kommen wir grundsätzlich zu einem ähnlichen Ergebnis:
Auch in Europa haben wir inzwischen ein Bewertungsniveau erreicht, welches von einigen Anlegern als teuer empfunden werden dürfte. Die Gefahr einer Aktienmarktkorrektur aus "Bewertungsgründen" ist definitiv heute so hoch, wie zuletzt 2018! Nichtsdestotrotz sind europäische Aktien relativ zu Anleihen nach wie vor absolut gesehen günstig, so dass ein Bärenmarkt derzeit wenig wahrscheinlich erscheint.
Sommer-Risiken
Vor diesem Hintergrund wundert uns die aktuelle Emotionslosigkeit (neutrales Stimmungsbild) und die sich in offensiven Portfoliopositionierungen ausdrückende Sorglosigkeit der Anleger schon. Andererseits ist diese auch wiederum keine Überraschung, wenn man die aktuellen Werte im sentix Overconfidence Index berücksichtigt. Denn die Kurse verhalten sich für die Bullen sehr angenehm. Zwar bleiben die ganz großen Kursgewinne aus, doch die Mehrzahl der letzten Wochen erbrachte Kursgewinne statt Kursverluste und dies begünstigt ein "übermäßiges Zutrauen" der Anleger.
Diese entstandenen Overconfidence trägt nicht unwesentlich dazu bei, dass im sentix Risikoradar inzwischen spürbare Risiken für heimische Aktien messbar geworden sind.
Zudem nähern wir uns mit großen Schritten der saisonal ungünstigsten Zeit des Jahres. Und eine Diskussion über Inflation und eine Änderung in der Geldpolitik wären geradezu prädestinierte Themen für das Sommerloch, welches in diesem Jahr besonders ausgeprägt sein dürfte, wo sich doch große Teile der Bevölkerung gerne so richtig im Urlaub ablenken würden. Wir bleiben deshalb trotz weiterhin sehr positiver Konjunkturdaten (die sentix Konjunkturindizes zeigen einen starken Anstieg der Lagewerte; siehe https://eco.sentix.de) vorsichtig in Aktien positioniert.
Der abschließende Blick auf Anleihen, Währungen und Gold
Aus dem obenstehenden erklärt sich bereits, warum wir - wie auch schon in den letzten Monaten - kein Freund von Zinsanlagen sind. Zumindest nicht strategisch. Taktisch könnten sich über die Sommermonate hinweg Chancen ergeben, sofern die Aktienmärkte tatsächlich der erhöhten Bewertung und aufgrund der Inflationsdiskussion in eine Korrektur eintreten. Wir erachten in dem aktuellen Umfeld Gold weiterhin als das bessere Diversifikationsinstrument. Kurse von USD 2.000 je Unze im Jahresverlauf halten wir nach wie vor für möglich. Entsprechend haben wir hier in unserem Mischfonds, dem sentix Risk Return -M-, einen Portfolioschwerpunkt gebildet. Aber auch im sentix Risk Return -A-, unserem globalen, aktienorientierten Fonds, haben wir Goldminen-Aktien aus diesem Grund beigemischt.
Im Währungsbereich sind für uns weiter keine größeren Chancen oder Risiken erkennbar. Unsere Sentimentmodelle favorisieren inzwischen leicht den Euro, was wir entsprechend auch umgesetzt haben.
Wie sich unsere Fonds in diesem Umfeld positionieren und wie die Entwicklung im abgelaufenen Monat war, erfahren Sie je nach Fonds hier: